Dienstag, 13. Dezember 2011

2. Kapitel: Der Irrtum

Konrad Bessi stand vor seinem Badezimmerspiegel und gab seinem Äußeren den letzten Feinschliff. Etwas Gel in die kurzen hellbraunen Haare, etwas Puder auf die schmale Nase, etwas Kajalstift unter die blauen Augen.
Während er seine schmalen Lippen mit Vanillebalsam betupfte, dachte er darüber nach, wie er nach dem Berliner Zwischenfall weiter vorgehen sollte. Die Sache passte überhaupt nicht in Konrads Pläne. Seine Geldsorgen waren nun noch größer, da er Hans Müller bezahlen musste, und das Bild war immer noch nicht verkauft.
Er rückte seine Fliege zurecht und ging ins Schlafzimmer, um sein Jackett zu holen. Dort hielt er inne und warf einen verärgerten Blick auf das Gemälde über seinem Bett. Es zeigte einen Wanderer mit Strohhut und blauem Arbeitsanzug, der in gleißender Sonne über Feldwege spazierte und nur von seinem eigenen Schatten begleitet wurde.
In der Schlichtheit der japanischen Zimmereinrichtung und des matten Lichtes sah das Bild gar nicht so besonders aus, aber sein Schöpfer und seine Geschichte machten es mindestens acht Millionen Dollar wert, handelte es sich doch um einen echten Vincent Van- Gogh. Das Bild trug den Titel „Maler auf dem Weg nach Tarascon“ und war ein Erbstück seines Großvaters, der es, dies war Konrad bewusst, im Krieg aus dem Magdeburger Schloss gestohlen und illegal mit nach Argentinien genommen hatte.
Eigentlich hatte Konrad das Bild niemals verkaufen wollen. Zu verbunden fühlte er sich mit dem einsamen Wanderer, der auf der Suche nach einer Heimat und nach künstlerischem Erfolg war. Aber Geldprobleme zwangen ihn dazu. Seine Erbschaft neigte sich dem Ende zu, und er lebte auf großem Fuß. Erste Spielschulden hatten sich bereits angehäuft. Das Haus, die Partys, seine Liebhaber – das alles musste und wollte finanziert werden. Sein Vater hatte ihn Zeit seines Lebens zu Dingen gezwungen, die er nicht tun wollte: ein Wirtschaftsstudium und heterosexuelle Beziehungen. Am Tag als sein Vater starb, vor vier Jahren, schwor sich Konrad, dass er in der Zukunft nur noch Dinge tun wollte, die ihm Spaß machten: Theater und Black Jack spielen, Partys feiern und Partner wechseln. Noch hatte niemand Verdacht geschöpft, dass er pleite war, aber es war nur noch eine Frage der Zeit. Wenn er das Bild wenigstens für drei Millionen Dollar auf dem Schwarzmarkt verkaufen könnte, wären all seine Geldprobleme mit einem Schlag gelöst. Der erste Versuch war leider fehlgeschlagen, aber vielleicht tat sich bald eine zweite Chance auf.
Konrad zog sein Jackett an und ergriff die Autoschlüssel. Er schaltete die Alarmanlage des Hauses an und schritt zügig zur Garage, die er kurz darauf in einem weinroten Jaguar verließ.
Seitdem er vor ein paar Jahren zum ersten Mal Deutschland besucht hatte, war er immer noch überrascht, wie sehr seine Strasse den Strassen einer bayrischen Kleinstadt ähnelte. Er war hier in Argentinien, in Bariloche, aufgewachsen und hatte mit seinem Vater immer Deutsch geredet. Aber Besuche in Deutschland gab es nur den einen. Trotz seiner geringen Verbundenheit zu Deutschland, fühlte er sich zu deutsch um argentinisch zu sein und zu argentinisch, um deutsch zu sein. Dies ließ ihn vorwiegend in der Gegenwart leben. Er konnte sich weder mit argentinischer noch mit deutscher Geschichte identifizieren. Ja, es muss einen Grund gegeben haben, warum sein Vater und dessen benachbarte Freunde nach dem Krieg nicht in Deutschland bleiben konnten, und warum ein jeder von ihnen ziemlich wohlhabend war, aber darüber hatte niemand von ihnen jemals ein Wort verloren. Konrad war all dies egal. Besonders das Leiden anderer Menschen war ihm egal, weil er fand, dass er selbst genug gelitten hatte. In der Schule war er wegen seines mädchenhaften Aussehens gehänselt und ausgestoßen worden. Mit 14 hatte er seine Mutter an einen Reitunfall verloren. 
Konrads Freund Martin, der ihm in Jeans und mit nassen Haaren die Tür aufmachte, begrüßte Konrad mit einem Kuss auf die Wange und den Worten:
„Ich habe eine Überraschung für Dich. Du erhältst ein Vorsprechen für die Rolle des Revisors von Gogol. Das ist Deine Chance auf eine Hauptrolle. Nächste Woche Mittwoch, um 11 Uhr, im Theater. Was sagst du? Freust du dich?“
Konrad war verblüfft.
„Was? Heiliger Schwan. Wie hast du denn das gemacht? Das ist großartig!“ Konrad klatschte sich vor Freude in die Hände.
„Für dich tue ich doch alles!“, antwortete Martin schelmig und zupfte Konrad an der Fliege. „Ich habe meine Beziehungen als Bühnenschreiner für dich spielen lassen.“ Er lächelte, dann forderte er Konrad auf:
„Komm mit ins Bad. Ich muss mich noch fertig machen.“
Konrad folgte Martin ins Bad und sah zu, wie sich dieser frisierte. Einen Moment zögerte er, dann sprach er aus, was ihm auf der Seele lag:
„Du sag mal, der Kaufinteressent, den du mir letztens vermittelt hast... wie viel wusstest du von dem? Ich habe ihn kontaktiert, aber wie sich herausstellte, war er nicht am Kauf interessiert.“ Konrad wählte seine Worte mit Bedacht.
„Was?“ Martin wandte seinen Blick Konrad zu und sah ihn mit erstaunten, braunen Augen an. „Das kann nicht sein. Wie ich dir bereits gesagt hatte, habe ich den Namen von einem Freund, der Kunst- Auktionen veranstaltet. Er hatte mir den Namen sehr diskret zugesteckt und nur gesagt, dass es ein deutschsprachiger Kunstsammler aus Südfrankreich sei. In Tarascon lebe er wohl. Daher auch die komische Email-Adresse: drache-von-tarascon@mail.com. Was ist denn passiert? Hast du mit ihm gesprochen?“
„Nun ja...“ erwiderte Konrad vorsichtig, „er wollte den Kauf nicht. Und dummer Weise hatte ich ihm in meiner Mail sensible Daten mitgeliefert, weil ich annahm, er käme aus vertrauenswürdiger Quelle.“
„Oh, das tut mir leid, Konrad. Ich frage meinen Freund noch mal, was er sich dabei gedacht hat, uns diesen Namen zu geben. Das ist ja furchtbar!“
„Nein, frag‘ lieber nicht! Ich möchte nicht, dass die Sache große Wellen schlägt. Lass uns die Sache unter den Teppich kehren. Es ist ja nichts weiter passiert.“
Konrad versuchte bei dem Abendessen, zu dem er Martin eingeladen hatte, lebendig und fröhlich zu wirken. Nur leider war ihm nicht so zumute. Das Fleisch schmeckte trocken, der Wein fade. Zwar ging er nach dem Essen noch für eine Stunde mit zu Martin, aber selbst dieser schmeckte an diesem Abend nicht so gut wie sonst.
Wieder zu Hause angekommen, schlug Konrad seinen Laptop auf und schaute kurz in seine Mails.
Da lag eine Mail in seinem Postfach mit dem Absender: drache_von_tarascon@mail.com. Als er sie öffnete, las er die Worte: „Warum melden Sie sich nicht bei mir? Ich bin immer noch an dem Bild interessiert." Konrad schaute auf die Unterstriche und begriff, dass er beim ersten Mal die falsche Person angeschrieben hatte. Was für ein fataler Irrtum! 


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