Montag, 19. Dezember 2011

5. Kapitel: Das Gesicht des Affen

Ari Kelch starrte auf die Handschellen. „Bitte“, murmelte er, „ist das nötig? Ich folge Ihnen auch so, Frau Mayer-Galotti. – Außerdem würde ich gern ein paar persönliche Dinge mitnehmen. Wenn das erlaubt ist. Ich weiß ja nicht, wie lange es dauert.“
Verena war derart verblüfft von seiner Höflichkeit, dass sie fast schwach geworden wäre. Als könne jemand, der sich ihren Namen nach einmaligem Hören korrekt merkte, kein Mörder sein. Sie rief sich innerlich zur Ordnung. „Tut mir leid, Herr Kelch. Sagen Sie, was Sie mitnehmen wollen, ich packe es ein.“
Auch das war nicht korrekt, das wusste sie.
Er streckte seine Hände aus und hielt ihr die Lesebrille entgegen. „Wenn Sie die bitte ins Etui …“
Dann packte sie noch seine Zahnbürste, eine Strickjacke und ein Buch vom Nachttisch ein. Als sie den Titel las, schluckte sie. Es war „Humanismus als reale Utopie“ von Erich Fromm. Dasselbe Buch hatte sie gerade von einer Freundin ausgeborgt. Es lag zu Hause auf ihrem Nachttisch. Quasi als Gegengewicht zu ihrer Arbeit las sie abends immer ein paar Seiten darin. Ja, konnte denn ein Mensch, der so etwas las … nein, sie würde sich jetzt nicht beirren lassen. Die Verdachtsmomente waren alarmierend genug.
Verena übergab Ari Kelch an einen eintreffenden Streifenwagen und wie die Beamten an, ihn auf's Revier zu bringen und dort zu verwahren, bis sie eintraf, um ihn zu vernehmen.
Eigentlich hätte sie dem Streifenwagen unmittelbar folgen sollen, zumindest gingen die Beamten davon aus, fühlte sich aber außerstande dazu. Sie war viel zu durcheinander. In diesem Zustand konnte sie kein sachliches Verhör führen.
Sie setzte sich ins Auto, zog sofort die Schachtel aus der Tasche und sog gierig den Rauch ein. Dabei guckte sie geistesabwesend aus dem Fenster und überlegte. Ari Kelch musste schuldig sein. Oder? Was machten sonst die Fotos des Opfers in seiner Wohnung? Und er war bei dessen Wohnung gewesen, das konnte er nicht leugnen. Warum hatte der Mann sie angelogen? Er musste zumindest etwas wissen. Und warum, verdammt noch mal, war er ihr so unglaublich sympathisch? Verliebte sie sich jetzt schon in Mörder? War sie verrückt geworden?
Vielleicht würde eine zusätzliche Recherche in der Nachbarschaft doch noch andere Hinweise ergeben und vor allem zu der unbekannten Freundin führen.  Vielleicht gab es etwas, das Kollege Haase übersehen hatte? Ari Kelch konnte und durfte nicht verdächtig bleiben...
Verena fuhr los. Unterwegs rief sie ihren Kollegen Haase an und trug ihm auf, sofort noch einmal bei Paul Kamm vorbei zu fahren und ihn bezüglich seines Aufenthaltsortes zur Tatzeit zu befragen. Sollte er ein Alibi haben, müsse Haase das Alibi auf Herz und Nieren prüfen.
Wie in Trance fuhr sie zur Hellersdorfer Strasse 488, stieg aus, klingelte an den Wohnungstüren der Nachbarn des Opfers und befragte die, die am hellerlichteten Tag zu Hause waren. Viele Nachbarn verhehlten ihre Erleichterung über Randolf Bocks Tod nicht, auch wenn keiner von ihnen spontan eines Mordmotives überführt werden konnte. Eine junge Frau gab es, drei Häuser weiter, die unglaublich hasserfüllt über Bock redete. Sie hatte zwei kleine Kinder, vier und sechs Jahre. Der Sechsjährige war gerade kürzlich bei einer Motorradattacke dieses Bock gestürzt. Er war schreiend und blutend nach Hause gelaufen, doch die Verletzung hatte sich lediglich als aufgeschürftes Knie herausgestellt. Diese Frau machte deutlich, dass sie ihm ein anständiges Höllenfeuer wünsche. Und dass sie sich freue, ihre Kinder nun endlich wieder ohne Angst nach draußen zum Spielen schicken zu können. Aber das war alles kein Grund … Was Verena absolut mysteriös vorkam, war, dass keiner der Nachbarn Bock jemals in Begleitung einer Frau gesehen haben wollte. Dass er eine Freundin hatte, war niemandem bekannt.  
Verena seufzte. Nach fünf Stunden gab sie ermüdet auf. Während der Befragungen war ihr viel durch den Kopf gegangen. Aber die schwierigste Aufgabe des Tages, das wußte sie, stand ihr noch bevor - auf dem Revier. 
Kollege Haase kam ihr sofort entgegen als sie zur Tür herein kam.
„Paul Kamm sagt, er wäre zur Tatzeit in einer Tabledance- Bar gewesen,“ stieß er hervor. „Bevor ich dorthin fahre, um zu prüfen, ob das jemand bestätigen kann, wollte ich dich erst mal fragen, ob du mitkommen willst.“
„Ach interessant,“ gab Verena zu.
„Und weißt du, was noch interessant ist? Kamm hat wider erwartend ein bisschen von Randolf Bock’s Freundin geplaudert.“
„Von der ich bezweifle, dass es sie wirklich gibt...“, entgegnete Verena.
„Nun ja, es handelt sich in der Tat um keine richtige Freundin. Sie ist eine Tänzerin in der selben Tabledance- Bar, die für Kamms Alibi herhalten muss. Früher waren die Beiden öfter gemeinsam dort. Dann verliebten sie sich in die selbe Tänzerin. Kamm kennt nur ihren Vornamen und der scheint ein Pseudonym zu sein: Linda. Offenbar war diese Linda Randolf Bock zugetan und hat sich  außerhalb ihrer regulären Arbeitszeiten mit ihm getroffen. Kamm war deshalb eifersüchtig. Zumindest ist das seine Version der Dinge.“
„Könnte ich Dich darum bitten, diese Linda sofort zu suchen?“, fragte Verena. Ich weiß, es ist nicht deine Aufgabe. Aber ich muss jetzt Ari Kelch verhören und habe keine Zeit. Ich habe Bocks Freundin schon den ganzen Tag gesucht.“
Als Kollege Haase erfuhr, dass sie noch mal in Hellersdorf gewesen war, blickte er sie enttäuscht an. Seinen Blick verstand sie wohl. Schließlich hatte er schon das ganze Umfeld abgeklappert. Wie sollte sie ihm erklären, dass sie es hatte machen müssen, weil sie verzweifelt nach einer Entlastung für Ari Kelch suchte? Weil sie hoffte, zusätzliche Anhaltspunkte zu gewinnen, indem sie versuchte, sich in die Atmosphäre dieser merkwürdigen Wohngegend einzufühlen und dem Opfer auf diese Weise näher zu kommen? Die großen, weiten Straßen dort draußen, durch die der Herbstwind ungehindert mit seiner ganzen Wucht fegte und in denen man innerhalb kürzester Zeit bis auf die Knochen durchgefroren war … Der gigantische Himmel dagegen, der ihr gut getan hatte, den man in der Innenstadt niemals so sah … Die von außen so farbenfroh sanierten Plattenbauten, in denen sie, kaum dass sie das Treppenhaus betreten, Luftnot bekommen hatte, weil in ihnen genau die Enge und menschenverachtende Hässlichkeit wohnte wie in der Schule und im Haus ihrer Kindheit …  Sie musste an ihre Eltern denken, an die Zeit, als sie in den Neubau gezogen waren nach dem Wohnungsbauprogramm der Siebziger. Wie stolz ihre Mutter gewesen war! Ein Bad! Eine Zentralheizung! Keine Kohlen mehr schleppen, kein Außenklo mehr, und sogar ein Fahrstuhl! Verena dagegen hatte die Wohnung im Altbau geliebt, die hohen Decken, den Stuck und die Kachelöfen. Und als sie mit neunzehn aus der engen Neubauwohnung ausgezogen war, hatte sie wie ein Schwamm die Atmosphäre in der WG-Wohnung aufgesogen, die natürlich ein Altbau gewesen war. Die Ruhe der dicken Wände. Die Geschichte, die solch ein über hundertjähriges Haus ausstrahlte! Und heute, das Hotel von Ari Kelch, war auch ein Altbau gewesen. Sein Zimmer hatte sogar Stuck gehabt. Reliefs von Gesichtern an der Decke und in der Mitte Weinreben. Fotoapparate, Bilder, Bücher. Ein Mann, der liest! Ein sympathisches Zimmer. Geschmackvoll eingerichtet, schlicht und schön. So wie er... als sie ihn festgenommen hatte… Er war völlig gelassen geblieben, höchstens ein bisschen überrascht. War das nicht der Beweis, dass er nichts befürchtete, weil er unschuldig war?
Verena gab sich einen Ruck und konzentrierte sich auf die Pinnwand mit den Namen "Affe", "Zöllner", „Kamm“, „Bessi“, "Kelch" und „Linda“. Den letzteren Namen hatte sie gegen „Freundin, unbekannt“ ausgetauscht. Bisher lagen gegen niemanden so harte Beweise vor wie gegen Kelch. Sie musste sich ihn vornehmen. Konnte das nicht Dennis machen? Konnte der jetzt nicht einfach wieder da sein?
Sie würde ihn fragen, warum er gelogen hatte. Ihn in die Enge treiben. Hoffentlich war er dann nicht wieder so schrecklich charmant. Sie musste ihn fragen, warum er wirklich in Berlin war. Das mit dem Reiseführer war natürlich ein Witz. Hatte er Familie? Eine Frau? Eine Freundin?
Und dann plötzlich fiel ihr noch ein Strohhalm ein. Sie griff zum Hörer und wählte. Am anderen Ende erschallte es:
„Zöllner?“
„Guten Tag Frau Zöllner, hier ist Verena Mayer-Galotti von der Kriminal …“
„Guten Tag Frau Mayer! Haben Sie den Mörder gefunden? Nein? Dann haben Sie sicher noch Fragen an mich? Ich komme gern vorbei, muss Ihnen aber leider sagen, dass mir bis jetzt leider nichts Neues eingefallen ist.“
„Frau Zöllner, es geht um das Phantombild des Mannes, den Sie in Begleitung des Opfers gesehen haben.“
„Sie meinen den, der wie ein Affe aussah? Schön, dass Sie sich besonnen haben. Ich habe ja diesen Vorschlag mit dem Phantombild gleich gemacht, nicht wahr?“
Verena unterdrückte einen Wutimpuls.
„Meinen Sie, dass Sie sich noch genug erinnern, um es mit meiner Hilfe erstellen zu können?“
„Junge Frau, ich war Lehrerin, und als Lehrerin …“
„Ja, ich weiß. Sie sind Gesichtsexpertin. Könnten Sie sofort kommen, Frau Zöllner?“
„Selbstverständlich, wenn ich damit der Wahrheitsfindung diene. Ich kenne meine Pflicht. Ich bin gerade dabei, mir ein spätes Stück Kuchen zu gönnen, da ich heute Nachmittag einen Friseurtermin…“
„Essen Sie Den Kuchen in Ruhe auf, Frau Zöllner, und dann kommen Sie bitte her. Soll ich Ihnen ein Auto vorbeischicken?“
„Nein, auf gar keinen Fall. Ich bin noch rüstig genug, um den Weg selbst zu finden. Ist es die Adresse auf der Karte, die Sie mir gegeben haben?“
„Ja, Sie finden mich im ersten Stock. Zimmer 127. Ich danke Ihnen.“
„Aber gern. Bis gleich, Frau Mayer.“
„Bis gleich.“

Schon eine Stunde später hatte der Affe ein Gesicht. Es war, wie Verena befürchtet hatte, nicht besonders glaubwürdig. Ein absurdes Gesicht. Wenn dieser Mann nicht nur Frau Zöllners Phantasie entsprungen war, wenn es ihn tatsächlich gab, und wenn er tatsächlich so aussah – geradezu die Karikatur eines Neandertalers mit Elvis-Schmachtlocke – dann musste ihn jemand wiedererkennen.
Verena war Frau Zöllner nur schwer wieder losgeworden. Sie hatte sich mit aller ihr zur Verfügung stehenden Geduld noch eine Viertelstunde lang von den Erfolgen ihres glorreichen Berufslebens erzählen lassen, die, würden sie alle der Wahrheit entsprechen, Generationen von lebenstüchtigen, fleißigen, freundlichen und moralisch hochwertigen Schülern in die Welt hatten strömen lassen, die nun alle irgendwo sein mussten.
Nun war sie endlich wieder mit sich allein. Rasch schrieb sie einen entsprechenden Kurztext und verteilte diesen samt Phantombild an die üblichen Zeitungsredaktionen.

Um 19 Uhr Abends rang sich Verena endlich dazu durch, Ari aus seiner Verwahrung zu holen, wo sie ihn fast den ganzen Tag hatte ausharren lassen, und das Verhör durchzuführen. Der Kollege, der auf Ari Kelch aufgepasste hatte, schaute Verena missmutig an.
"Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat. Sie können jetzt gehen.", entschuldigte sie sich.
Dann wandte sie sich Ari Kelch zu.
"Würden Sie bitte mitkommen?"
Ari Kelch nickte müde.
Zusammen schritten sie in ein benachbartes Büro, dessen spärliche Inneneinrichtung mit einem Tisch und zwei Stühlen darauf schließen ließ, was hier in der Regel stattfand.
Verena deutete ihm an, sich zu setzen und zog ein kleines Aufnahmegerät aus der Tasche. Langsam legte sie es auf den Tisch und schaute verlegen auf Ari Kelch herab. Dann sagte sie zu sich selbst, dass er nur sehen konnte, was sie ihm zeigte und nur hören konnte, was sie ihm sagte. Ihre Gedanken konnte er nicht lesen. Er konnte nicht wissen, dass sie sich zu ihm hingezogen fühlte. Und dann setzte sie sich eine kühle Maske auf und nahm ihm gegenüber auf dem Stuhl Platz.
"Ich sage Ihnen jetzt gerade heraus, was Sache ist", begann sie. "Sie sind aufgrund der Fotos, die ich bei Ihnen gefunden habe, die den ermordeten Randolf Bock in seiner Wohnung zeigen, möglicher Weise, der Letzte, der ihn lebendig gesehen hat. Das macht Sie zum Hauptverdächtigen. Sie haben das Recht, einen Anwalt zu diesem Verhör hinzuzuziehen. Möchten Sie davon Gebrauch machen?"
"Nein", antwortete Ari Kelch ruhig und schüttelte den Kopf. "Ich habe Randolf Bock nicht ermordet. Ich bin unschuldig."
"Das möchte ich Ihnen gern glauben, aber wenn Sie das nicht beweisen können, wenn Sie mir nichts zu Ihrer Entlastung vorweisen können, dann bin ich gezwungen, die Staatsanwaltschaft zu verständigen und Sie in Untersuchungshaft zu stecken."
"Ich vertehe." Ari Kelch atmete tief durch. "Ich hatte den Auftrag, Randolf Bock zu überprüfen. Ich bin Privatdetektiv." Ari Kelch zog eine Art Ausweis aus der Hosentasche und reichte ihn Verena.
Verena begutachtete ihn eingehend. Sie wünschte sich, dass der Ausweis echt war.
"Erzählen Sie mir von Ihrem Auftrag. Wer ist Ihr Auftraggeber?"
"Ich kann Ihnen den Namen meines Auftraggebers nicht verraten. Das unterliegt meiner Verschwiegenheitspflicht. Ich kann Ihnen nur sagen, dass mir mein Auftraggeber gesagt hat, das Opfer wolle etwas von ihm kaufen. Der Auftraggeber wollte in Erfahrung bringen, wo der Käufer herstamme, ob er vertrauenswürdig war und in welcher finanziellen Lage er sich befand. Ich forschte Randolf Bock aus und stellte eine Mappe über ihn zusammen. Diese Mappe sandte ich bereits vor zehn Tagen nach Argentinien. Ich kann unmöglich der Letzte sein, der das Opfer lebendig sah."
"Nach Argentinien?", fragte Verena. "Ihr Auftraggeber ist Argentinier?" Ihr stieg sofort das illustre Kaufangebot des Van-Gogh-Bildes über drei Millionen Dollar in den Kopf.
„Konrad Bessi!", stieß sie laut hervor.
Ari Kelch zuckte zusammen.
"Das ist Ihr Auftraggeber, nicht wahr?"
"Das kann ich Ihnen unter keinen Umständen sagen. Wenn ich die Identität meines Auftraggebers preisgebe, bekomme ich mein Honorar nicht."
"Wenn Sie es nicht tun, kommen Sie in Untersuchungshaft. Ich kann Sie nur freilassen, wenn sich die tatverdächtigen Beweise gegen Sie widerlegen lassen."
Ari Kelch schwieg. Ihm war unwohl zumute. Aber nicht nur, weil die so charmant gestresste Ermittlerin den Namen seines Auftraggebers kannte, sondern auch, weil er sich angesichts des Mordes nicht mehr sicher war, ob es nicht vielleicht jemand auf ihn abgesehen hatte. Gab es jemanden, der ihm einen Mord anhängen wollte? Bevor er sich sein Honorar verdarb und zugab, für Konrad Bessi gearbeitet zu haben, wollte er unbedingt mit diesem sprechen und alle Möglichkeiten durchdenken.
"Also gut", sagte er ruhig. "Rufen Sie die Staatsanwaltschaft an und bringen Sie mich in Untersuchungshaft." Er war nahezu amüsiert darüber, wie erstaunt Verena Mayer-Galotti ihn ansah. Ihr Kehlkopf vibrierte leicht, und ihre schwarzen Locken hüpften im Takt empörter Schritte als sie den Raum verließ, um zu tun, wozu er sie zwang.

Verena träumte in dieser Nacht von Ari Kelch, der merkwürdigerweise wie ihr Vater aussah. Es war ein angenehmer Traum, in dem er ihr den Stuhl zurechtrückte und ihr, weil sie fror, eine feine, bunte Wolldecke um die Schultern legte, wobei er sie lange ansah. Er hatte blaue Augen. Hatte ihr Vater blaue Augen gehabt? Waren die Augen von Ari wirklich blau? Das Ärgerliche an diesem Traum war nur, dass er die ganze Zeit im Verhörraum spielte und weder sie noch Ari den Raum verlassen konnten, was eine beklemmende Atmosphäre erzeugte …

Als sie am nächsten Morgen den Gang entlang zu ihrem Büro ging, stand ein Mann vor ihrer Bürotür, bei dessen Anblick sie schmunzeln musste. Er trug bayerische Tracht. Sein Gesicht hatte allerdings einen ganovenhaften Ausdruck.
„Guten Tag. Mayer-Galotti. "
"Sie wollen zu mir?“
„Genau.“
„Worum geht es?“
„Um das Bild.“
„Um welches Bild?“
„Na, aus der Zeitung.“ Er holte eine Zeitung aus der Jackentasche und hielt ihr das Bild des ‚Affen‘ so dicht unter die Nase, dass sie unwillkürlich den Kopf zurück riss.
„Ich kenn' den“, sagte der Mann.
Verena straffte sich. „Okay“, sagte sie. „Entschuldigung, kommen Sie doch bitte rein.“
Der Mann gab seinen Namen mit Iwan Setschko an. Ein Russe in bayerischer Tracht. Das wurde ja immer besser! Und dann erfuhr Verena eine etwas verwickelte Geschichte von ihm. Setschko arbeitete im Jagdgeschäft Frankonia in der Friedrichstrasse und verkaufte dort Jagdwaffen, Sportwaffen und Handschusswaffen. In diesen Laden war besagter Mann vor zwei Wochen gekommen und hatte einen Revolver der Marke Kimber 45 gekauft. Die Prüfdokumente, Waffenschein und Ausweis, lagen vorschriftsmäßig vor. Iwan Setschko konnte sich noch genau an das Datum erinnern, als der Mann die Waffe kaufte, da der Käufer auch die letzten Patronen 45-igen Kalibers mitnahm. Setschko hatte noch am selben Tag eine neue Bestellung der Patronen aus den Vereinigten Staaten ausgelöst.
Nachdem nun also das Phantombild in der Zeitung erschienen war, hatte Setschko seinen Quittungsblock durchgeschaut und war sich sicher, Quittung und Gesicht dem Namen Hans Müller zuordnen zu können.
„Donnerwetter“, sagte Verena, „das haben Sie aber sehr gut gemacht, Herr Setschko!“, worauf sie ein breites Grinsen erntete. Zwar bedeutete ein Name wie Hans Müller immer Zeitaufwand, da viele Personen durchleuchtet werden mussten, aber am Ende des Tunnels gab es ein Licht. Sicherlich gab es auch Unsicherheiten, denn bei dem möglichen Mord an Rudolf Bock war überhaupt keine Waffe zum Einsatz gekommen. Aber vorläufig hatte der Affe nicht nur ein Gesicht sondern auch einen Namen.


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