Dienstag, 20. Dezember 2011

6. Kapitel: Die verräterische Waffe

Entsprechend Verenas Erwartung ging die Suche nach Hans Müller nur schleppend vorwärts, da es 8785 Namenstreffer in Deutschland gab, und keiner der wenigen Namensträger im Vorstrafenregister passte auf das Phantombild. 
„Mist“, fluchte Verena. „Das wäre auch zu einfach gewesen .“
Vielleicht war Hans Müller auch nur ein Deckname?

Ein schrilles Telefonklingeln riss Verena aus ihren Gedankengängen. Auf dem Display erkannte die Nummer vom Einsatzteam der Schutzpolizei.
„Was gibt's!?“
„Frau Mayer-Galotti, wir habe noch eine Leiche, nur ein paar Meter weiter entfernt von letzten Fundort. Spandauer Brücke 12!“
„Number 12?“ Es ratterte in Verena Hirn. Es war doch das Haus, in dem...
„Die Ermordete heißt Magdalena Zöller. Sie wurde in ihrer Wohnung tot aufgefunden mit einer Schussverletzung.“
Verena schloss die Augen und versuchte, tief durchzuatmen.
„Okay, ich bin in einer viertel Stunde da“, sagte sie dann.

Am Tatort angelangt, traf sie wieder auf Ralf von der Spusi.
„Ah, Frau Kollegin, haben Sie Sehnsucht nach mir gehabt?“, witzelte er.
„Ganz genau, Ralf, ich hab‘s ohne deine Nähe einfach nicht ausgehalten“, erwiderte Verena mit leicht genervtem Tonfall. Wie weit seid ihr denn mit der Spurensicherung?“
„Sie muss aus nächster Nähe erschossen worden sein, wahrscheinlich mit einem Revolver.“
„Irgendwelche Anzeichen, die auf einen Raubmord schließen lassen?“
„Nichts, wir haben ein paar Goldmünzen im Schrank und knapp 100 Euro in ihrem Portemonnaie gefunden. Das sieht nicht danach aus, als ob der Mörder auf ihre kleine Rente erpicht gewesen wäre.“
„Sonst etwas Auffälliges?“
„Nichts, auch das Türschloss ist unversehrt. Interessant war zunächst nur das hier.“
Ralf wies auf ein Opernglas, das griffbereit auf der Wohnzimmercouch lag.
Verena starrte darauf.
„Wieso zunächst?“
„Weil wir in Frau Zöllners Schublade in der Küche eine etwa zwei Monate alte Rechnung über das Opernglas gefunden haben. Teures Ding! Und es sieht nicht danach aus, als habe der Mörder es hier vergessen.“
„Darf ich mal?“, fragte Verena und zog sich Gummihandschuhe über. Dann fischte sie das Glas aus der Plastikhülle der Spusi und ging damit auf den Balkon. Sie setzte das Glas an ihr Gesicht und nahm damit das Hotel gegenüber ins Visier.
„Meine Herren“, sagte sie staunend, während sie ein Zimmermädchen beobachtete, das gerade ein Hotelbett herrichtete. „Na, damit hätte ich auch ein Phantombild des Mörders erstellen können. Da hat unsere gute Frau Zöllner ja doch die Wahrheit gesagt.“
Verena machte sich plötzlich Vorwürfe. Sie hatte Frau Zöllner nicht ernst nehmen wollen, hatte nicht geglaubt, dass die „Quatschtante“, die sie in ihren Augen war, etwas Nützliches zu dem Fall beitragen konnte.
Aber nun erschien plötzlich alles in einem anderen Licht. Frau Zöllner hätte Schutz gebraucht und nicht abgewimmelt werden dürfen.
Verena fühlte sich fürchterlich.
Als sie spät abends wieder auf dem Revier ankam, ging sie langsam zur Pinnwand und riss den Namen „Zöllner“ ab.
In ihrer Trauer stieg plötzlich ein tröstender Gedanke in ihr hoch: Ari Kelch konnte nicht der Mörder sein. Er saß in Untersuchungshaft.  

Am nächsten Morgen erhielt Verena einen Anruf von der Gerichtsmedizin. Am Ende der Leitung meldete sich Sven Schwenker.
"Frau Galotti, wir haben jetzt den Waffentypus identifiziert, mit dem die ältere Dame erschossen wurde."
Verena stöhnte. "Ich heiße nicht Galotti, sondern M a y e r-Galotti!"
"Ach, ich dachte, du hättest Giannis Namen angenommen."
"No, Signore, no. Aber schieß los Sven!"  
"Wir haben es mit einem halbautomatischen Handrevolver zu tun, 45er Kaliber."
"45er Kugeln?", fragte Verena, während etwas in ihr zu rattern begann.
"Ja, eine Kimber 45! Aber was ist denn jetzt mit dem Gianni? Man hört da so Gerüchte..."
"Was?", schrie Verena fast. "Seid ihr sicher?"
"Aber ja doch. Nun regt dich doch nicht so auf, ich hatte eben so verschiedene Sachen gehört. Seid ihr tatsächlich getrennt?" 
"Geschieden", entgegnete Verena trocken. "Aber das mit der Kimber 45 ist doch ein Ding. Genau diese Waffe hat der mutmaßliche Hans Müller erst kürzlich erworben. Und dann findet direkt gegenüber vom Tatort ein zweiter Mord statt. Soll das ein Zufall sein?"
"Das ist allerdings erstaunlich", gab Sven zu. "Aber wer macht denn so etwas Offensichtliches?"
"Vielleicht wollte der Mörder ein Zeichen setzen. Vielleicht ist das seine Art mit uns zu kommunizieren. Ich hoffe nur, dass es nicht weitere Morde gibt. Das müssen wir unbedingt verhindern."


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