Donnerstag, 22. Dezember 2011

Kapitel 8: Malerische Delikatessen

Als sie das Restaurant betrat sah sie ihn sofort. Er stand auf, ging auf sie zu, half ihr elegant aus dem Mantel, zog den Stuhl für sie zurück, blieb wie eine Schutzmauer vor der allzu lauten Welt hinter ihr stehen, bis sie ganz in Ruhe auf ihrem Stuhl Platz gefunden hatte. Für einen Moment wünsche sie sich, er würde dort einfach stehen bleiben, seine Hände auf ihre Schultern legen und die Zeit anhalten.
Sie öffnete die Augen erst als er ihr gegenüber Platz genommen und ihr ein Glas Wasser eingeschenkt hatte.
„Ich war so frei, schon Wasser und auch eine Flasche trockenen spanischen Rotwein zu bestellen.“
„Perfekt“, sagte sie und genoss dieses Gefühl umsorgt zu werden. Sie sah ihm tief in die Augen, die von einem inneren südamerikanischen Feuer berichteten. „Danke, dass Sie hier bleiben und mir helfen wollen.“
„Ach wissen Sie, wenn man so plötzlich von einem heimlichen Auge zu einem Mordverdächtigen wird, dann weckt das schon eine große Neugier. Außerdem habe ich mich schon immer ein wenig für Kunst interessiert. Die Verbindung von einem Mord, einem van Gogh und der Gesellschaft von Ihnen ist eine unwiderstehliche Kombination.“
Sie musste schmunzeln. Das war doch eine ganze andere Form des Schmeichelns, als Ralfs plumpe Annäherungsversuche.
„Wollen oder können Sie mir nun sagen, was Ihr Auftraggeber mit meinem, nein mit unserem Opfer zu tun hat?“
„Nun, da ich inzwischen das Vertragsverhältnis mit meinem Klienten gelöst habe, sehe ich mich nicht mehr in der Pflicht der Verschwiegenheit. Aus ethischen Gründen werde ich Ihnen den Namen meines Klienten dennoch nicht nennen, aber zumindest die Beweggründe für meinen Auftrag. Mein Klient ist daran interessiert, ein Gemälde von van Gogh zu verkaufen. Kennen sie van Gogh?“
„Den Maler? Das ist doch der mit den Sonnenblumen, der sich irgendwann ein Ohr abgeschnitten hat.“
„Der Wegbereiter der Expressionisten.“ Er stockte einen Moment. Seine Augen wanderten in die Ferne, als würde er sich eines der Bilder von van Gogh vor seinem geistigen Auge vorstellen. In seinen Augen lag plötzlich eine solche Sehnsucht, dass sie ihn am liebsten geküsst hätte. Langsam kam er an den Tisch zurück.
„Nun, van Gogh hat die Malerei sicher wie kaum ein anderer nachhaltig verändert. Zu Lebzeiten noch verkannt und oft bettelarm, ist sein Werk heute eines der bekanntesten und wertvollsten in der Kunstszene. Seine Bilder bringen Höchstpreise. Mein Klient jedenfalls ist im Besitz eines original van Gogh Gemäldes. Der „Maler auf dem Weg nach Tarascon“ ist in den Wirren des Krieges verloren gegangen. Ich weiß nicht, wie mein Klient in den Besitz dieses Bildes gekommen ist, aber da es vermutlich nicht ganz legal war, versucht er nun auf inoffiziellem Wege das Bild zu verkaufen.“
„Auf inoffiziellem Weg?“, fragte sie, obwohl sie kaum zugehört hatte. Seine Stimme und seine Art zu reden, wie er dabei kaum merklich aber doch nachdrücklich den Kopf bewegte, lenkten sie zu sehr ab.
„Nun, wenn er das Bild auf einer öffentlich Auktion anbieten würde, würde er sicher das Doppelte bis Dreifache bekommen, doch dann müsste er auch nachweisen, dass das Bild in seinem rechtmäßigen Besitz ist. Dass er dieser Möglichkeit ausweicht und damit auf drei bis fünf Millionen Dollar verzichtet zeigt mir, dass er das Bild auf einem eher dunklen Kanal erworben hat.“
„Warum will er es denn verkaufen?“
„Ich habe mich selbstverständlich auch über meinen Klienten erkundigt. Er ist ein Lebemann, der es in den letzten Jahren kontinuierlich geschafft hat, das wertvolle Erbe seines Vaters zu vergeuden. Da kommen drei Millionen Dollar gerade recht.“
Die Kellnerin kam. Sie hatte noch nicht einmal in die Karte geschaut.
„Soll ich für uns beide bestellen?“, fragte er vorsichtig und doch nicht ohne einen Hauch von Dominanz.
„Sehr gerne“, sagt sie und lehnte sich zurück.
Er bestellt eine Reihe von Tapas und forderte nun den schon georderten Wein. Sie genoss seine Aufmerksamkeit, seine Umsicht, seine Aura.
„Zurück zu uns“, sagte er, schaute sie direkt an und machte eine lange Pause.
„Zurück zum Fall“, er grinste. „Mein Klient hatte die E-Mail Adresse von Herrn Bock von einem Freund mit dem Hinweis bekommen, dass dahinter ein Vermögender Kunstliebhaber stecken würde. Doch ab hier wird das Ganze etwas mysteriös.“
„Weil unser Herr Bock sich eher das Playmate des Monats an die Wand hängen würde als einen echten van Gogh“, sagt sie und wunderte sich selbst über den Vergleich. Sie Lächeln in den Mundwinkeln gefiel ihr.
„Da ich nicht davon ausgehe, dass die Information des Freundes fehlerhaft war, und Herr Bock wohl kaum selbst der Käufer ist, habe ich verzweifelt versucht herauszufinden, ob Herr Bock nur ein Mittelsmann ist, aber ohne Erfolg.“ Er zögerte. „Warum lächeln Sie?“
„Ich frage mich, was Sie über mich herausfinden würden und ob Sie vielleicht sogar schon damit angefangen haben.“
„Sie wissen doch, ich muss über meine Beobachtungen Stillschweigen wahren.“ Sein verschmitzter Blick mache ihn zwanzig Jahre jünger.
„Wissen Sie übrigens, dass es neben dem Bild ‚Maler auf dem Weg nach Tarascon‘ noch zwei weitere van Gogh Bilder gibt, die nach Tarascon benannt sind?“
„Nein“, sagte sie erstaunt. Erstaunt nicht nur über die Tatsache, sondern über sein Wissen über van Gogh.
„Es gibt noch ein Bild einer Postkutsche, ein Bild einer Eisenbahnbrücke und eine Zeichnung, die wie eine Vorstudie zu dem eigentlich Bild gesehen werden kann.“
„Und nun gibt es sogar noch einen Drachen von Tarascon“ sagte sie und genoss seinen irritierten und interessiert Blick, in dem sicheren Wissen, dass dieses Interesse nicht nur dem Drachen galt.


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