Mittwoch, 25. Januar 2012

12. Kapitel: Blaue Augen

Der Kellner stellte die beiden Cappuccinos auf den Tisch. Es war wie verhext. Kaum war der Kellner mit fragendem Blick an ihren Tisch getreten, bestellten sie wie aus einem Mund dasselbe: Cappuccino. Sahen sich einen Moment überrascht an und lachten dann herzlich los.
Aber was hieß verhext? Inzwischen war Ari Kelch ja kein Verdächtiger mehr, sondern sozusagen ihr Kollege. Und vielleicht bald noch mehr.

Verena nippte leicht an dem Milchschaum, in vorsichtiger Erwartung des heißen Kaffees darunter. Anschließend leckte sie sich die Reste dezent von der Oberlippe. Als sie aufsah, bemerkte sie, wie Ari sie schmunzelnd beobachtete. Schmunzelnd und...

Ihr Handy klingelte. "Frau Kollegin, wo erwische ich sie denn jetzt gerade?" Verena spürte den Ärger in sich hochkochen. Vor einer Stunde war sie noch im Polizeipräsidium gewesen, da hätte Ralf jede Möglichkeit gehabt, sie an zu sprechen. Wieso jetzt? Das war verhext. Als ob er sie observierte. "Meine Sache. Was ist los?" Ari sah diskret in eine andere Richtung, wie, um ihr einen ungestörten Raum für das Telefonat zu überlassen.
"Bist Du alleine? Oder ist wieder dieser Kelch bei Dir?" Verena lehnte sich zurück, um ihren Körper zu entspannen. "Ich bin alleine, wieso?" Im Augenwinkel sah sie ein belustigtes Zucken um Aris Mund. "Weil ich da eine neue Information über meinen Nebenbuhler habe." In der Stimme des Spusis schwang eindeutig freudige Befriedigung mit, fast Triumph. Verenas Rücken verhärtete sich erneut. "Schieß los." sagte sie knapp und konnte nicht umhin, Ari dabei zu betrachten. "Also" begann Ralf geradezu genüsslich "dieser Ari Kelch ist kein unbeschriebenes Blatt. Er ist der Sohn von Sharon und Mosche Kelch, die von 1942 bis 45 im KZ Mauthausen Zwangsarbeit leisten mussten..." Verena spürte, wie ihre Haut kribbelte. "Okay, das macht ihn nicht zwangsläufig verdächtig, oder?" Ralf auf der anderen Seite räusperte sich ungehalten. "Das musst Du entscheiden. Ich gebe dir nur weiter, was meine Spurenrecherche so ergeben hat. Ich weiß zwar nicht, wie das zusammenhängen könnte, aber ein Zufall ist das nicht, oder?" Verena atmete tief ein. "Danke Ralf. Schönen Tag noch." Damit beendete sie das Gespräch.

Aris Blick kehrte zu ihr zurück. "Neuigkeiten?" fragte er sie. Verenas Magen drückte leicht.
Sie sah hoch in seine Augen. In diese klugen Augen mit dem zurückhaltenden Blick, der seine Sehnsucht nicht verbergen konnte. Glaubte sie. Aber verbargen sie etwas anderes vor ihr? Ein helles, strahlendes Blau. Ein arischer Typ, ging es ihr durch den Kopf und sie tadelte sich selbst sofort für dieses idiotische Wort. Ein arischer Typ aus jüdischer Familie.
Ein Typ voller Widersprüche.
Da klingelte erneut das Handy. Verena sah Ari fragend an. Er nickte freundlich. "Gehen Sie ruhig dran. Ich habe Zeit!"
Diesmal war es ein Ferngespräch, von der argentinischen Polizei in Bariloche. Ein Martin Fernandez wollte sie sprechen. "I do'nt speak spanish" wandte Verena ein. Das mache nichts, versicherte ihr die argentinische Kollegin in passablem Englisch. Herr Fernandez spreche fließend Deutsch.
Die Verbindung war schlecht. Verena beschloss, das Gespräch diesmal nicht am Tisch zu führen. Sie nickte Ari entschuldigend zu, der ihr mit gewohnt charmantem Lächeln aufmunternd zunickte.

Als Verena zurück an den Tisch kam, hatte sie einen Entschluss gefasst.
"Herr Kelch" begann sie, noch bevor sie auf dem Stuhl Platz genommen hatte, und sah Ari Kelch sehr direkt an. "Wir müssen reden."

Als sie ihn mit den Fragen, die sie in schneller Kombination der neuen Informationen versuchsweise formuliert hatte, konfrontierte, lächelte er immer noch. "Ja" sagte er langsam und ruhig "ja, das stimmt alles. Meinen Eltern hat "Der Maler auf dem Weg nach Tarascon" gehört und Georg Bessi hat meine Eltern in Mauthausen gequält. Von den Folgen haben sie sich niemals wieder richtig erholt. Später hat Bessi, gemeinsam mit einem weiteren Nazi-Schergen, das Bild gestohlen. Es stimmt auch, dass ich Konrad Bessi Zeit seines Lebens beobachtet habe und mich ihm als Detektiv angeboten habe. Ja, ich bin auf der Suche nach dem Drachen von Tarascon. Einem der letzten Überlebenden des Nazi-Regimes. Ich wusste, dass Bessi das Bild meiner Eltern hatte. Dieses Bild ist mir egal. Ich will es gar nicht haben. Aber ich hatte die Vermutung, dass Georg Bessis Freund noch lebte. Und dass er sich "Drache von Tarascon" nennt. Und ich wusste, dass der Drache früher oder später dieses Bild holen wollte. Und dabei wollte ich ihn schnappen."

Verena war eine erfahrene Ermittlerin. Aber dieses Gefühlswirrwar war ihr neu. Ari machte auf sie einen von Grund auf vertrauenerweckenden Eindruck. Sie erwischte sich bei dem Gedanken, dass sie ihm ihr Leben anvertrauen würde - etwas, worüber eine Polizistin immer wieder mal gezwungen war, nach zu denken.
Aber er hütete ein Geheimnis. Immer noch. Hinter diesen hellen Augen, die so transparent waren, dass man meinte, bis auf den Grund sehen zu können.

"Sie allein, als rächender Privatmann." Ari sah sie einen Moment schweigend an. "Genau." sagte er, und Verena wusste, dass er in diesem Moment log. Lügen musste.


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