Sonntag, 29. Januar 2012

16. Kapitel: Unerwartete Begegnungen

Verena wachte auf der Notfall- Krankenstation am Flughafen in Nîmes auf. Als sie zu sich kam, lag sie auf einer provisorischen Liege. Neben ihr, auf einem Stuhl, sass eine Frau mit kurzen braunen Haaren und kleinen braunen Augen, ein Kostüm mit Namensschild tragend. Auf dem Schild stand: Martha Charm. Es war die stämmige Stewardess, obwohl ‚stämmig‘ leicht übertrieben war. Auf den zweiten Blick sah sie eher aus wie ein kleines Muskelpaket, so als ob sie exzessiv Kraftsport betrieb, und war recht attraktiv.   
Verena brauchte ein paar Minuten, um das Gesicht der Stewardess wieder zu erkennen. Gleichzeitig mischte sich eine weitere Erinnerung dazwischen. Verena war, als ob sie das Gesicht in einem anderen Kontext schon einmal gesehen hatte, auf einem Foto. Aber wann und wo?
„Oh Sie sind wach!“, rief die Stewardess. „Wie geht es Ihnen? Tut Ihnen etwas weh?“
Verena fühlte sich benommen und durstig. Sie bewegte vorsichtig ihre Glieder. Dann schüttelte sie langsam den Kopf. 
„Mir tut nichts weh. Ich fühle mich, als ob ich 100 Jahre geschlafen hätte. Wo bin ich? Was ist passiert?“
„Sie sind im Flugzeug ohnmächtig geworden und wurden sofort nach der Landung in die Krankenstation transportiert. Wir sind am Flughafen in Nîmes. Wenn ich mich recht erinnere, wollten Sie weiter nach Tarascon. Das ist noch 26 Kilometer von hier entfernt.“
„Richtig.“ Verena erinnerte sich daran, dass sie im Flugzeug auf die Toilette ging und Ari hinterher verschwunden war.
Die Stewardess reichte Verena ein Glas Wasser und erklärte:
„Sie scheinen im Flugzeug halluziniert zu haben. Sie haben ihren Sitz nicht mehr gefunden und Ihren Begleiter nicht mehr erkannt. Gott sei Dank scheint es Ihnen jetzt besser zu gehen. Somit werde ich mich verabschieden und Sie der Krankenschwester überlassen. Man wird sie sicher noch ein paar Stunden unter Beobachtung stellen, bevor Sie gehen können. Aber Ihr Begleiter hat mich gebeten, Ihnen etwas auszurichten. Er konnte leider nicht auf sie warten und ist bereits vorgefahren. Sie sollen ihm jedoch nur nach Tarascon folgen, wenn Sie bereit seien, im Team zu arbeiten. Die Reise sei zu gefährlich, um sie zerstritten anzutreten.“
Verena blickte die Stewardess fragend an. Der Ton in dem diese sprach, war merkwürdig. Die ganze Situation war merkwürdig. War diese Frau wirklich eine Stewardess? Verena war sich sicher, dass ihr Ari etwas ins Glas getan hatte. Er wollte sie nicht dabei haben, solange sie ihm eine Szene machte. Er hatte ganz offensichtlich ein Ziel, dem er Verena unterordnete. Dennoch ließ er die Tür einen Spalt offen. Warum?
„Ich danke Ihnen.“, sagte Verena zur Stewardess und reichte ihr zum Abschied die Hand. Und plötzlich dämmerte es ihr. Es war Linda, die Table Dancerin. Sie hatte Linda nur auf einem Foto gesehen, das Haase ihr gezeigt hatte, nachdem er mit ihr gesprochen hatte. Sie hatte Linda nie persönlich kennengelernt, aber das war sie. Ganz sicher.
„Nichts zu danken.“, antwortete die Stewardess nur, nahm ihren kleinen Koffer und verließ die Station.
Verena blieb einen Moment sprachlos zurück.
Gehörten Linda und Ari zusammen?

Verenas Neugierde war geweckt. Sie beschloss, nach Tarascon zu fahren und in dem Hotel einzuchecken, das Ari für sie beide gebucht hatte. Vielleicht fand sie ihn dort. Er war ohnehin der einzige, der möglicher Weise wußte, wo man nach Konrad Bessi suchen mußte.
Als sie zwei Stunden später, nach einer kurzen medizinischen Untersuchung, aus der Notfallstation entlassen wurde, buchte sie mit Hilfe ihrer mageren Französischkenntnisse einen Mietwagen und fuhr allein nach Tarascon. Es war bereits Abend als sie im Hotel eintraf. 
An der Hotelrezeption fragte sie nach ihrer Reservierung und war nahezu überrascht, dass sie noch vorhanden war.
„Madame Mayer-Galotti. Chambre 104.“, sagte die Rezeptionistin und reichte ihr einen Schlüssel über den Tisch, an dem eine Plakette mit der Zahl 104 befestigt war.“
„Entschuldigen Sie,“ fragte Verena auf Französisch, „hat Ari Kelch bereits eingecheckt?“
„Ja, Madame. Vor vier Stunden. Allerdings hat er das Hotel danach gleich wieder verlassen und ist noch nicht zurück.“
„Hat er eine Nachricht für mich hinterlassen?“
„Nein, Madame, hat er nicht.“
Verena war enttäuscht. Sie ging zunächst auf ihr Zimmer und überlegte, was sie tun sollte. Sie hatte das unbestimmte Gefühl, dass es wichtig war, Ari und Konrad Bessi noch in dieser Nacht zu finden. Da sie jedoch keinen Anhaltspunkt hatte, wo sie die beiden finden konnte, entschied sie sich, ihrem ursprünglichen Plan zu folgen und die örtliche Polizei aufzusuchen. Vielleicht war diese bereits informiert und besaß irgendwelche Hinweise.

„Wen suchen Sie?“, fragte ein dürrer Polizeibeamter, mit arrogantem Unterton, auf der Wache in der Innenstadt von Tarascon. „Konrad Bessi?“
„Er wird per internationalem Haftbefehl gesucht und hält sich wahrscheinlich in Tarascon auf. Haben Sie keinerlei Informationen darüber?“, fragte Verena.
„Nein, habe ich nicht.“, erwiderte der Beamte schroff. „Aber Sie sind schon die Zweite, die heute Abend nach diesem Konrad Bessi fragt. Sie können sich mit dem jungen Mann da drüben zusammen tun.“ Und dann streckte er seine dürre Hand aus und dirigierte Verenas Blick auf einen Mann, der in der Nähe des Eingangs auf einer Besucherbank sass und zwei Karten von Tarascon studierte.
Verena wandte sich von dem Polizeibeamten ab, der ihr offensichtlich sowieso nicht weiterhelfen wollte oder konnte, und schritt langsam auf den Mann zu.
„Entschuldigen Sie, Mayer-Galotti mein Name. Kriminalpolizei Deutschland. Ich bin auf der Suche nach Konrad Bessi und habe gehört Sie suchen ihn ebenfalls. Könnten wir uns unterhalten?“
Der junge Mann erschrak. Verena wußte nicht, ob er erschrak, weil er nichts oder alles verstanden hatte.
„Sprechen Sie französisch, englisch, deutsch?“, fragte Verena vorsichtig auf französisch.
„Spanisch und deutsch,“ antwortete der Mann auf deutsch.
„Das  trifft sich gut,“ erwiderte Verena erleichtert und sprang ins Deutsche.
„Darf ich fragen, wer Sie sind und warum Sie Konrad Bessi suchen? Vielleicht können wir zusammen arbeiten.“
„Das kommt darauf an,“ erwiderte der Mann mit perplextem Gesichtsausdruck.            
„Worauf?“
„Darauf ob Sie Interesse haben, sein Leben zu retten oder ihn zu verhaften.“ 
„Was, wenn ich an beidem Interesse habe?“
„Dann könnten wir uns bezüglich der ersten Intention verbünden, bezüglich der zweiten nicht.“
„Warum sagen Sie mir nicht erstmal, wer Sie sind?“, fragte Verena.
„Martin Hiems. Ich bin ein Freund von Konrad Bessi aus Argentinien. Ich habe ihn gestern als vermißt gemeldet und bin so schnell ich konnte herüber geflogen, weil ich denke, dass ihm etwas passiert ist.“
„Sie meinen, dass er sich mit dem Verkauf des Van-Gogh-Bildes in Gefahr gebracht hat?“
„Sie wissen also davon. Ja genau.“
„Er wird mittlerweile per internationalem Haftbefehl gesucht.“, erklärte Verena.
„Wegen des Bildes?“, fragte Martin.
„Auch. Was hat er Ihnen über den Käufer erzählt?“
„Er hat nur etwas von einem Schloß erwähnt, dass der Käufer ihn auf sein Schloß eingeladen hat, mehr nicht.“ 
„Also das Schloß von Tarascon, in der Innenstadt, kann es nicht sein. Das ist touristisch. Sie haben ja bereits die Karte studiert. Gibt es weitere Schlösser in der Gegend?“
„Zwei. Beide in der Nähe.“ Martin zeigte auf zwei Punkte auf der Karte.
Verena nahm die Karte und ging zurück zu dem dürren, arroganten Polizeibeamten.
„Sagen Sie bitte, ist eines dieser beiden Schlösser in Privatbesitz?“  
Der Polizist blickte mißtrauisch.
Dann zeigte er auf eines der beiden Schlösser, das kleinere am Ufer der Rhône, und sagte:
„Das hier gehört einem alten Zausel, Kunstsammler so viel ich weiß.“
„Danke.“
Verena wandte sich wieder Martin zu.
„Kommen Sie, wir fahren dort hin.“

Verena und Martin schauten angespannt aus dem Auto in die Dunkelheit hinaus. Je näher sie dem Schloß kamen, desto angespannter wurden sie. Doch noch bevor sie es sichteten, zog etwas Anderes ihre Aufmerksamkeit auf sich.
Ein großer Lichtkegel.
„Feuer!“, riefen Verena und Martin gleichzeitig.

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